Die Ableitungsfunktion

Allgemeine Betrachtungen

Bei einer gegeben Funktion \(f:x\longmapsto f(x)\) mit \(x\in D_{f}\) ist \(f(x)\) der Funktionsterm und \(D_{f}\) der Definitionsbereich von \(f\). Mit Hilfe von \(f(x)\) können mehrere Eigenschaften des Graphen \(G_{f}\) der Funktion \(f\) ermittelt werden. Setzt man für \(x\) einen bestimmten Wert \(a\in D_{f}\) in \(f(x)\) ein so ist \(f(a)\) die \(y\)-Koordinate der Punktes \(A\) von \(G_{f}\) an der Stelle \(a\). Die Lösungen der Gleichung \(f(x)=0\) sind die Nullstellen von \(f\). Das sind die \(x\)-Koordinaten der Punkte von \(G_{f}\), die auf der \(x\)-Achse liegen. Der Ansatz \(f(x)>0\) ist eine Ungleichung, deren Lösungsmenge den Bereich aller \(x\)-Werte angibt, für die \(G_{f}\) oberhalb der \(x\)-Achse verläuft. Um zu wissen in welchem Intervall \(G_{f}\) unterhalb der Abszisse verläuft, löst man die Ungleichung \(f(x)<0\).

\(G_{f}\) hat aber noch weitere Eigenschaften, die allein mit \(f(x)\) nur schwierig zu ermitteln sind. So gibt es bei vielen Funktionsgraphen bestimmte Punkte, die in ihrer Umgebung Hoch- oder Tiefpunkte sind. Des weiteren gibt es Intervalle, in denen \(G_{f}\) streng monoton steigt oder streng monoton fällt. Es wäre sehr praktisch, wenn man für diese Betrachtungen ähnlich wie \(f(x)\) einen anderen, neuen Funktionsterm hätte, mit dessen Hilfe die genannten Eigenschaften von \(G_{f}\) auch über Gleichungen oder Ungleichungen berechnet werden könnten.

Ein möglicher Ansatz wäre, dass diese neue Funktion aus der Funktion \(f\) entsteht und falls möglich, an einer beliebigen Stelle \(a\in D_{f}\) die Steigung der Tangente im Punkt \(A(a;f(a))\) ausgibt. So könnte man an jeder belieben Stelle die Steigung der Tangente an \(G_{f}\) berechnen. Nennen wir diese neue Funktion Steigungsfunktion und bezeichnen sie mit \(f^{\prime}(x)\). Die Funktion \(f^{\prime}\) ermöglicht es uns, weitere Eigenschaften von \(G_{f}\) zu ermitteln. So sind die Lösungen der Gleichung \(f^{\prime}(x)=0\) die \(x\)-Koordinaten aller Punkte von \(G_{f}\) die eine waagerechte Tangente haben. In den meisten Fällen haben die Hoch- oder Tiefpunkte eines Funktionsgraphen eine waagerechte Tangente. Die Ungleichung \(f^{\prime}(x)>0\) hat als Lösungsmenge Intervalle, in denen die Tangentensteigung positiv ist. In einem solchen Intervall ist der Graph \(G_{f}\) echt monoton steigend. Entsprechend gibt die Lösungsmenge der Ungleichung \(f^{\prime}(x)<0\) Bereiche an, in denen \(G_{f}\) streng monoton fallend ist.

Im folgenden geht es darum, aus \(f(x)\) den Term der Steigungsfunktion \(f^{\prime}(x)\) zu bestimmen.

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Skante und Tangente

Dazu wählt man zwei verschiedene beliebige Punkte \(A(a;f(a))\) und \(B(b;f(b))\) von \(G_{f}\) und verbindet sie mit einer Geraden. Diese Gerade heißt Sekante an \(G_{f}\) durch \(A\) und \(B\) und hat die Steigung \(m_{a,b}=\dfrac{f(b)-f(a)}{b-a}\). Allgemein werden die Steigungen von Sekanten an \(G_{f}\) kurz Differenzenquotient genannt. In diesem Fall ist \(m_{a,b}\) der Differenzquotient von \(G_{f}\) durch die Punkte \(A\) und \(B\). Im nächsten Schritt geht es darum, aus der Sekanten eine Tangente werden zu lassen. Dazu bleibt \(A\) auf \(G_{f}\) fixiert und \(B\) wird zu einem beweglichen Punkt, der sich auf \(G_{f}\) in Richtung \(A\) bewegt. Auch wenn \(B\) sehr nahe bei \(A\) liegt, sind \(A\) und \(B\) immer noch zwei unterschiedliche Punkte. Für den Differenzenqotienten gilt weiterhin: \(m_{a,b}=\dfrac{f(b)-f(a)}{b-a}\) mit der Bedingung, dass \(B\) sehr nahe bei \(A\) liegt. Für diese Situation gibt es eine besondere Schreibweise. Man schreibt \(\lim_{b\rightarrow a}m_{a,b}=\lim_{b\rightarrow a}\dfrac{f(b)-f(a)}{b-a}\) (lies limes \(b\) gegen \(a\)). Das bedeutet, dass der Wert von \(b\) sehr nahe bei \(a\) liegt, ihn aber nicht erreicht. Falls bei dieser Grenzwertsituation der Wert \(\lim_{b\rightarrow a}m_{a,b}=\lim_{b\rightarrow a}\dfrac{f(b)-f(a)}{b-a}\) eindeutig ist, so ist dieser Grenzwert die Steigung der Tangente an \(G_{f}\) im Punkt \(A(a;f(a))\). Man schreibt dazu \(f^{\prime}(a)=\lim_{b\rightarrow a}m_{a,b}=\lim_{b\rightarrow a}\dfrac{f(b)-f(a)}{b-a}\). Falls diese Prozedur nicht nur an der Stelle \(a\) sondern an jeder anderen beliebigen Stelle \(x\in D_{f}\) durchführbar ist, so wird \(a\) mit der Variablen \(x\) ersetzt. Auf diesem Wege hat man aus \(f(x)\) die Steigungsfunktion \(f^{\prime}(x)\) bestimmt.

Wichtige Begriffe der Differenzialrechnung

Unter dem Differenzenquotienten von \(f\) bezüglich \(a,b\in D_{f}\) versteht man den Term \(m_{a,b}=\dfrac{f(b)-f(a)}{b-a}\) mit \(a\neq b\). Der Differenzenquotient ist die Steigung der Sekante von \(G_{f}\) durch die Punkte \(A(a;f(a))\) und \(B(b;f(b))\). Sei \(A(a;f(a))\) ein fester Punkt von \(G_{f}\) und \(B(b;f(b))\) ein beweglicher Punkt auf \(G_{f}\). Für den Differenzenquotienten gilt weiterhin:

\(m_{a,b}=\dfrac{f(b)-f(a)}{b-a}\).

Nähert sich nun der Punkt \(B\) dem Punkt \(A\) von links oder von rechts, so erhalten wir:

\(\underset{b\rightarrow a}{\lim}{m_{a,b}}=\underset{b\rightarrow a}{\lim}{\dfrac{f(b)-f(a)}{b-a}}\).

Erhält man für diesen Grenzwert eine eindeutige Zahl, so ist dieser Wert die Steigung der Tangente an \(G_{f}\) im Punkt \(A(a,f(a))\). Die Steigung der Tangente in \(A\) an \(G_{f}\) ist auch die Steigung des Graphen \(G_{f}\) im Punkt \(A\). Der Grenzwert \(\underset{b\rightarrow a}{\lim}{\dfrac{f(b)-f(a)}{b-a}}\) heißt Differentialquotient von \(f\) bezüglich \(a\) oder erste Ableitung \(f^{\prime}(a)\) von \(f\) an der Stelle \(a\).

Für \(f^{\prime}(a)\) gibt es mehrere Schreibweisen:

\[f^{\prime}(a)=\dfrac{d(f(a))}{dx}=\dfrac{d}{dx}f(a)\text{ .}\]

Die Bestimmung der Steigung von \(G_{f}\) an einer oder mehreren Stellen heißt Ableiten oder Differenzieren. Eine Funktion, die an jeder Stelle eines offenen Intervalls \(J\subset D_{f}\) differenzierbar ist, heißt in diesem Intervall \(J\) differenzierbar. In diesem Fall gibt es für die Funktion \(f\) eine Ableitungsfunktion, die mit \(f^{\prime}\) bezeichnet wird.

Die Funktion \(f^{\prime}:x\longmapsto f^{\prime}(x)\) mit \(x\in D_{f^{\prime}}\) heißt Ableitungsfunktion der Funktion \(f\). Der Funktionswert \(f^{\prime}(a)\) an der Stelle \(a\) ist die Steigung von \(G_{f}\) an dieser Stelle \(a\). Die Tangente an \(G_{f}\) an der Stelle \(a\) hat die Gleichung:

\[t:y=f^{\prime}(a)(x-a)+f(a)\text{ .}\]

Bedeutung der Ableitung in der Physik: Hängt eine physikalische Größe \(P\) von einer anderen physikalischen Größe \(q\) ab, so gibt der Differenzenquotient an, um wie viel sich die Größe \(P\) durchschnittlich pro einer Einheit von \(q\) ändert, wenn man \(q\) um \(\Delta q=q_{2}-q_{1}\) ändert. Es gilt:

\[m_{q_{1},q_{2}}=\dfrac{\Delta P}{\Delta q}=\dfrac{P(q_{2})-P(q_{1})}{q_{2}-q_{1}}\text{ .}\]

Der Differentialquotient \(\dfrac{dP}{dq}(q_{0})\) ist die Ableitung von \(P\) an der Stelle \(q_{0}\). Er gibt an, um wie viel sich die Größe \(P\) pro einer Einheit von \(q\) ändert, wenn man die Größe \(q\) um einen kleinen Wert um \(q_{0}\) ändert. Es gilt:

\[\dfrac{dP}{dq}(q_{0})=\underset{q\rightarrow q_{0}}{\lim}{\dfrac{P(q)-P(q_{0})}{q-q_{0}}}\text{ .}\]

Genauso wie die erste Ableitung können nun Ableitungen höherer Ordnung gebildet werden und es gilt:

\[f^{\prime\prime}(x)=\dfrac{d}{dx}f^{\prime}(x)=\dfrac{d^{2}}{dx^{2}}f(x)\text{ .}\]

Ableitungsregeln

Folgende Regeln erleichtern das Ableiten ganzrationaler Funktionen.

  • Jede konstante Funktion \(f:x\longmapsto c\) ; \(c,x\in \mathbb{R}\) ist in \(\mathbb{R}\) differenzierbar und \(f^{\prime }(x)=0\).
  • Die Funktionen \(f:x\longmapsto x^{n}\) ; \(n\in \mathbb{N}\) ; \(x\in \mathbb{R}\) sind differenzierbar in \(\mathbb{R}\) und es gilt: \(f^{\prime }(x)=n\cdot x^{n-1}\). Diese Regel gilt auch, falls \(n\in \mathbb{R}\) mit entsprechendem Definitionsbereich für \(f\).
  • Die gebrochen-rationale Funktion \(f:x\longmapsto \dfrac{1}{x}\) ; \(D_{f}=\mathbb{R} \setminus \{0\}\) ist in \(\mathbb{R} \setminus \{0\}\) differenzierbar und es gilt: \(f^{\prime }(x)=-\dfrac{1}{x^{2}}\).
  • Gegeben sind zwei reelle Funktionen \(f\) und \(g\), die in ihren Definitionsmengen differenzierbar sind. Dann gilt:
  • Die Funktion \(k:x\longmapsto c\cdot f(x)\) mit \(c\in \mathbb{R}\) ist differenzierbar und es gilt: \(k^{\prime }(x)=c\cdot f^{\prime}(x)\).
  • Die Funktionen \(s:x\longmapsto f(x)+g(x)\) und \(d:x\longmapsto f(x)-g(x)\) sind differenzierbar und es gilt: \(s^{\prime }(x)=f^{\prime }(x)+ g^{\prime }(x)\) und \(d^{\prime }(x)=f^{\prime }(x)- g^{\prime }(x)\).
  • Produktregel: Die Funktion \(p:x\longmapsto f(x)\cdot g(x)\) ist differenzierbar und es gilt: \(p^{\prime }(x)=f^{\prime }(x)\cdot g(x)+f(x)\cdot g^{\prime }(x)\).
  • Kettenregel: Ist \(g\) in \(D_{g}\) differenzierbar und \(f\) in \(W_{g}\) differenzierbar, dann ist die Funktion \(v:x\longmapsto f(g(x))\) in \(D_{v}\) differenzierbar und es gilt: \(v^{\prime }(x)=f^{\prime }(g(x))\cdot g^{\prime }(x)\).
  • Die Funktion \(u:x\longmapsto \dfrac{1}{f(x)}\) ist in \(x\in D_{u}\) differenzierbar und es gilt: \(u^{\prime }(x)=-\dfrac{f^{\prime }(x)}{f^{2}(x)}\).